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Like a Rolling Stone

Als quicklebendiger Jimi Hendrix des Rennrollstuhlsports zieht Thomas Geierspichler als mächtige Lokomotive unsere Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse von Menschen mit Handicaps und schiebt gleichzeitig deren Motivation an, aus Visionen ein gutes Leben zu formen. Im großen Interview spricht der Salzburger über sein extremes Programm, Schummler im Paralympics-Feld, den Wunsch zu gehen oder auch über die Einsamkeit als wirksamsten Trainingspartner.  

Interview: Fritz Hutter (www.fritzhutter.com)

Diese Story ist zuerst im Running- und Laufsportmagazin „Keep on RunInc“ erschienen und im RunInc-Store am Wiener Salzgries erhältlich. Infos: www.runinc.at

Thomas, wie hat das post-paralympische Wintertraining eines der besten Rennrollstuhlfahrer aller Zeiten ausgeschaut? Mehr Keks und Krapfen oder doch wieder zahllose Trainingskilometer?

Ein paar Kekserl und Krapfen und das eine oder andere Regenerationsseidel gehen sich im Winter natürlich aus. Aber von einer ruhigen Zeit kann keine Rede sein, weil du im Winter ja die Basis für die neue Saison legst. Nach den Paralympics habe ich praktisch keine Pause gemacht, sondern sofort und noch mit dem Renn-Feeling und in Topform meinen brandneuen Carbon-Rollstuhl von Invacare getestet, um im Winter das Materialthema aus dem Kopf zu haben und zu wissen, dass alles passt. Ja, und dann habe ich eigentlich gleich weitertrainiert, weil es mit grad so getaugt hat. 

Hast du Winterreifen am Rolli oder fährst Du in der kalten Jahreszeit ausschließlich auf der Walze?

Nachdem es im Herbst mit Trainingslagern im Ausland doch wieder komplizierter war, habe ich trockenes Wetter daheim so intensiv wie möglich ausgenutzt, dazu viel Krafttraining gemacht. Und natürlich viele, viele Einheiten auf der Walze. Die steht bei mir daheim im Vorraum und ist ein mittlerweile ganz schön betagtes, aber immer noch irgendwie cooles Trumm aus massivem Eisen. 50 Kilo schwer und 80 Zentimeter breit, damit mein Rennrollstuhl mit 60 Zentimetern Spurbreite gut draufpasst.

Cooles Trumm hin oder her, klingt trotzdem so, als ob auch du deutlich lieber draußen unterwegs wärst.

Absolut! Grad in der letzten Zeit kommt in mir immer stärker etwas zurück, womit ich ja eigentlich angefangen habe, und was mir durch die Streichung der längeren Strecken bei Rennrollstuhlrennen ein bisserl vergangen ist: die Vision Marathon! Ich will wieder öfter zurück auf die Straße! Das Feeling ist einzigartig, schon allein diese ganz spezielle Atmosphäre in der Früh, wenn alle dem Start entgegenfiebern. Deshalb bin ich wieder verstärkt auf der Suche nach Laufevents, wo ich etwa im Rahmen von Integrationsläufen starten kann. Demnächst darf ich meinen „alten ´Diesel“ bei einem Halbmarathon in Norditalien durchputzen (lacht)! Und vielleicht ist heuer auch wieder im Rahmen des Salzburg-Marathons was möglich.

Wie schaut Dein Trainingsprogramm für derartige Saisonhöhepunkte konkret aus?

Viermal in der Woche trainiere ich zweimal am Tag und zweimal pro Woche einmal. Die Umfänge sind oft brutal, der größte Teil ist Grundlagenausdauer. Dabei versuche ich, mein Programm konstant, ja fast stoisch durchzuziehen und vertraue darauf, dass mit der Zeit die körperliche Anpassung stattfindet. Es geht ungebrochen darum, das Niveau immer weiter nach oben zu schrauben und mit verhältnismäßig weniger Puls immer noch mehr Leistung auf die Bahn bringen. Und deshalb ist mir die Laktatmessung so wichtig, weil es essenziell ist, zu wissen, wann ich meine Energiespeicher wie weit ausschöpfen darf. Wenn ich schon soviel Zeit ins Training investiere, dann soll es so effektiv wie möglich sein.

Und das Krafttraining?

Dabei geht’s vor allem darum, den Impact beim Antauchen zu erhöhen. 90 bis 120 Mal pro Minute stoße ich meinen Rollstuhl an, und jeder Stoß soll natürlich so effektiv wie möglich sein.

Wo am asphaltierten Teil Salzburgs rund um den heimatlichen Reschberger Hof in Anif schraubst Du bevorzugt an Deinem Niveau?

Mein Hauptrunde ist ca. 14 Kilometer lang und führt von Anif über Niederalm und die Königseeache Richtung Rif, St. Leonhard, Grödig, Hellbrunn und wieder heim nach Anif. Die fahre ich bei längeren Trainings am Vormittag dreimal und am Nachmittag zweimal. Wichtig ist für mich, dass es Runden sind, die mich nicht zu weit von zu Hause wegführen. Habe ich nämlich einen Patschen, dann kann ich den nicht wirklich selber reparieren, sondern bin darauf angewiesen, dass mich jemand schnell abholen kann. Dazu kommen viele Intervalleinheiten im Olympiazentrum Rif, aber auch auf einem ruhigen Radweg entlang der Salzach. Draußen fahre ich möglichst alles auf Asphalt und auch ein Stückerl auf der Bundesstraße – tatsächlich ist das nicht ganz ungefährlich, aber mittlerweile kennen mich die Leut’ sehr gut und in all den Jahren hat es maximal zwei, drei knappere Situationen gegeben. 

Übrigens: Tom zählt in seiner Behinderungsklasse auch zu Österreichs besten Tennisspielern! Ob der Wechsel auf den Court zur Vision für die Paralympics 2028 reift, wird sich zeigen. Bis dahin wird moderat trainiert. Etwa mit Autor Fritz Hutter.

Apropos: Vor Deinem Autounfall als Beifahrer am 4. April 1994 hast Du Fußball gespielt, warst du da eher der Trickser und Zangler oder schon damals ein Kilometerfresser?

Eigentlich war ich der typische Verteidiger. Einer, der sich in seinen Gegenspieler verbissen und ihn, wenn nötig, umgehackt hat – auf diesem Wege möchte ich mich nachträglich bei allen entschuldigen, die ich damals gelegt habe (lacht)! Irgendwann sind sie beim USK Anif aber dann draufgekommen, dass ich brutal gut und weit schießen konnte, und deshalb wurde ich ins Mittelfeld gestellt.

Nachdem klar war, dass Du querschnittgelähmt bist, hast Du drei Jahre nach Wegen zum Weitermachen gesucht und heftige Depressionen übernahmen das Kommando. Zu Silvester 1997 kam plötzlich das Umdenken weg vom gewaltsamen Vergessenwollen – auch mit Alkohol und Drogenexperimenten. Wie haben sich deine Seele aber auch dein Körper danach angefühlt?

Nachdem ich damals in dieser Silvesternacht damit aufgehört habe, mich „abzutöten“, weil ich schlicht nicht in diesem behinderten Körper leben wollte, und mir endlich wieder gestattet habe, mich selber spüren, ist sofort eine unheimliche Energie in mir hochgestiegen und ich habe mich großartig gefühlt. Noch war aber die Vision nicht da, was ich mit dieser Energie anstellen soll, und so habe ich begonnen, viel zu trainieren – Liegestütze und so weiter – durchaus mit dem Hintergedanken, vielleicht doch wieder gehen zu können. 

Wie ist es Dir gelungen, dich eben wieder zu spüren?

Heute nenne ich auch in meinen Vorträgen die drei nötigen Punkte dafür: reflektieren, analysieren, realisieren. Also stehenbleiben, umdrehen und schauen, wovor ich davongelaufen bin, feststellen, dass ich querschnittgelähmt bin und diesen Umstand für mich selber realisieren. Letzteres statt des von vielen ja empfohlenen Akzeptierens, weil das ja auch „gutheißen“ bedeuten würde. Aber ich muss nicht gutheißen, dass ich gelähmt bin! Ich mag es bis heute nicht und möcht’ noch immer lieber gehen können, aber ich kann es bis dato nicht ändern. Durch diesen Prozess des Realisierens ist es mir gelungen, den immer schwerer werdenden „Rucksack“ abzulegen, mich aufzurichten und auf Basis einer neuen und authentischen Wahrhaftigkeit wieder offen für neue Möglichkeiten zu sein. Es ist wie bei einem Navigationssystem: Du kannst Dich erst auf die Reise zu einem Ziel begeben, wenn der Satellit deinen Standort bestimmt hat. Erst, wenn du den kennst, kannst du die Route festlegen. Ansonsten fährst völlig für die Würscht im Kreis herum.

Eine der neuen Möglichkeiten war der Spitzensport.

Ich habe immer auf ein Zeichen gewartet. Und dann ist bei der Olympia-Abfahrt in Nagano der legendäre Sturz vom Hermann Maier passiert. So wie es ihn damals dort reingesteckt hat, hab’ ich geglaubt, der ist hin, aber drei Tage später ist er Olympiasieger im Super-G geworden. Und da hat es mir Tränen rausgedrückt und eine unheimliche Gänsehaut aufgezogen, und plötzlich habe ich gedacht, Scheiße, ich will als Sportler zu Olympia und die Bundeshymne hören! Davor habe ich immer geglaubt, Gott kommt irgendwie aus dem brennenden Busch und sagt mir, das ist Dein neuer Weg und dafür musst du das und das tun. Aber nein, er gibt dir ganz tief ins Herz einen Wunsch hinein, und wenn du dann spürst, dass du genau das tust, was dir diesen Wunsch erfüllt, dann sprudeln die Endorphine, und Geist und Körper gehen eine perfekte Symbiose ein. Wie wenn der Jimi Hendrix Gitarre spielt!  

Oder wenn der Tommy Geierspichler Rennrollstuhl fährt. Bald nach Nagano 1998 bist du eher zufällig in Kontakt mit deinem Sport gekommen. Bei aller Vision & Mission: Wie schwer oder leicht waren die ersten Kilometer?

Komischerweise ist es mir von Anfang an leicht gefallen. Ich wollte sofort meine Grenze kennenlernen und drüber gehen, um die nächste Grenze zu finden und zu überschreiten. Klar war es anstrengend, aber für mich war es ein mentales Spiel, meine Limits durch meinen Glauben immer wieder neu auszuloten. Es war, als wenn jede einzelne Zelle meines Körpers auf diesen Ausbruch gewartet hätte. Damals wie heute erzeugen Visionen und innere Bilder bei mir Emotionen, die mich immer weiterbringen. Es ist wie in den Geschichten vom völlig ausgezehrten Kriegsgefangenen in Sibirien, der durch einen Blick auf ein vergilbtes Foto von Frau und Kind Kraft für einen Gewaltmarsch heim bis nach Österreich schöpfen konnte. 

Welche Intention stand am Anfang: Rollstuhl-Jogging oder doch gleich die Goldmedaille?

Gute Frage! Ganz am Anfang bin ich eine 20-Minuten-Runde gefahren. Irgendwann ist mir bei einem Blick auf meine Uhr aufgefallen, dass ich bei dem einen Bankerl in St. Leonhard genau bei 17 Minuten vorbeigefahren bin, am zweiten Tag wollte ich das in 16 Minuten schaffen. Und so ist das dann spielerisch immer weiter gegangen.

Über die vielen gemeinsamen Jahre im österreichischen Sport ist aus einer reinen Arbeitsbeziehung eine ganz spezielle Freundschaft geworden. Thomas hat mir und auch meiner kleinen Familie so einiges bei- und nähergebracht. Danke, Champ!

Viele Läuferinnen und Läufer suchen grad am Anfang Motivation in gemeinsamen Läufen in der Gruppe. Dürft im Rollstuhlsport schwieriger sein. Ein Problem für Dich?

Ich habe schon immer die meiste Zeit alleine trainiert und es macht mir bis heute gar nichts aus. Ganz im Gegenteil, ich will mich ja mit mir selber beschäftigen und mich körperlich spüren. Ehrlich gesagt verstehe ich die Leute nicht, die zur Motivation fürs Training immer eine Gruppe brauchen. Da muss ich doch meine Motive und Ziele hinterfragen, wenn es mir alleine so schwer fällt! Aber klar macht es auch mir Spaß, mich ab und zu im Training mit anderen zu batteln und nachher auf ein Tratscherl zusammenzusitzen. Trotzdem, wenn du im Sport erfolgreich sein willst, dann musst du sehr, sehr gut mit dir selbst umgehen können.

Nicht alle, die Deine großen Erfolge mitbekommen haben, wissen auch, dass Du Tetraplegiker bist, also auch Deine Rumpfmuskulatur und Deine Arme und Hände beeinträchtig sind. Das ist wohl eine zusätzliche Herausforderung.

Absolut! Aber am stärksten wirkt sich aus, dass ich durch die Lähmungen vom Hals abwärts ein deutlich geringeres Lungenvolumen als ein „normaler“ Querschnittler habe, und dass auch mein vegetatives Nervensystem anders funktioniert. Ich bringe deshalb einen viel niedrigeren Maximalpuls zusammen, 140 ungefähr, was natürlich die Grundausdauer extrem beeinflusst. Und das wurde und wird bei den Klassenzusammenlegungen der letzten Jahre nicht berücksichtigt.

Das heißt, wenn du heute Medaillen gewinnen willst, musst du an Gegnern mit voll funktionstüchtiger Bauch-, Rücken- und Armmuskulatur und einem doppelt so großen Lungenvolumen vorbei?

Genau, 2004 wurde die Klasse der Querschnittgelähmten um Leute erweitert, die an irgendwelchen Krankheiten leiden oder mit Amputationen leben. Manche meiner heutigen Gegner können sogar gehen. Ab und zu werden mittlerweile falsch eingestufte oder eben auch der eine oder andere „Schummler“ wieder wegklassifiziert, zuletzt wurde etwa ein Japaner nach 17 Jahren endlich gestrichen. Eh gut, aber das Problem ist, dass die Bestzeiten und Resultate der „Fake-Fahrer“ stehen bleiben, was sich wieder auf Ranglisten, Quotenplätze und letztlich Förderungen auswirkt.

2016 in Rio waren durch eine Viruserkrankung Deine „Seuchenspiele“. Ein Finale verpasst, den Rest schwer enttäuscht absagen müssen. 2021, in Tokio bist du dann über die 1500 m Vierter geworden und hast das Resultat gefeiert wie eine Medaille. Was bitte war für dich erfolgsverwöhnten Medaillenhamster so cool an Paralympics-Blech?

Ich kann dir nur sagen, dass mich damals irgendeine innere Stimme hat glücklich sein lassen, und ich kann Gott nur dankbar dafür sein, dass ich nicht verbittert war! Ich hab’ das überhaupt nicht hinterfragt, sondern nur gedacht, warum soll ich es nicht rauslassen, wenn ich zufrieden und dankbar bin. Letztlich geht es doch immer nur ums subjektive Empfinden.

Dass die drei vor dir eigentlich nicht in deine Behinderungsklasse gehört hätten, war dir in dem Fall egal?

Das habe ich in dem Moment beiseite geschoben. Jeder hat eindeutig gesehen, dass das keine Tetras sind. Ich bin Saisonbestleistung gefahren und hab’ dabei neuerlich den einen Mexikaner geschlagen. Der ist übrigens auch kein Tetraplegiker, sondern beinamputiert. Der Zielsprint gegen ihn war für mich wie der Kampf um Gold, den ich unbedingt gewinnen wollte. Danach war ich voll aufgedreht und ich konnte nicht anders als mich aus ganzem Herzen freuen. Als Tetra ist an diesem Tag einfach nicht mehr gegangen!

Neben der Klassifizierung ist im Parasport längst auch Doping ein Thema. Zusätzlich zum Medikamentenmissbrauch hört man immer wieder, dass eine praktisch nicht nachweisbare Methode angewandt wird, das sogenannte Boosting nämlich. Was hat es damit auf sich?

Es geht darum, künstlich den Blutdruck zu steigern, um eine höhere Pulsfrequenz erreichen zu können. Ich habe gehört, dass das manche mit gezielt getimtem Urinieren schaffen. Wenn man pinkelt, steigt der systolische Wert (Anm.: Blutdruck bei der Herzkontraktion) und mehr sauerstoffreiches Blut gelangt ins System. Davon kann man allerdings einen wirklich gefährlichen Nierenstau davontragen. Andere wiederum fügen sich an unempfindlichen Körperstellen kleine Verletzungen zu, was den Adrenalinspiegel hochjagt, somit die Energiereserven im Körper mobilisiert und die Leistungsbereitschaft erhöht. Für mich wäre das übrigens nix. Wenn ich mich verletzte, kommt es nämlich zu Spasmen und es „verzieht“ mich komplett. Ich muss im wahrsten Sinne des Wortes locker sein.

Gar nicht locker klingt Dein sportliches Spektrum. Du bist ja von 400 m bis zum Marathon Weltklasse. Nur zur Illustration, bei den Paralympics 2004 in Athen hast Du neben Deinem Sieg über die 1500 m auch Medaillen über 400, 800, 5000 m und eben beim Marathon gemacht. Selbst für kenianische Wunderläufer undenkbar. Wie geht das?

Zunächst muss man sagen, dass Rollstuhlfahren schon etwas ganz anderes als Laufen ist, weil keine Stöße auf Deinen Körper wirken. Aber natürlich macht es einen Unterschied, ob du nur 400 m fährst oder auch die langen Strecken. Aber nachdem ich mit meinem langjährigen Trainer Walter Gfrerer, der mich bis heute berät, von Anfang an immer viel Grundlagenausdauer gemacht habe, bin ich wohl der lebende Beweis, dass diese selbst über kürzere Distanzen einen sehr positiven Effekt haben kann. Insgesamt geht es darum, dass du nicht die Strecke, sondern jene Zeit siehst, die du die Maximalbelastung aushältst. Spannend war es aber jedenfalls, wie ich mich nach der Streichung des Marathons aus dem Paralympics-Programm auf die seit 2004 immer kürzeren und dann immer wieder gewechselten Distanzen „heruntertrainieren“ musste. 

Da hätt’ man als Paralympics-Sieger und -Medaillengewinner und x-facher Welt- und Europameister auch den Hut draufhauen können…

Eh, aber weil ich meinen Sport so liebe und unendlich dankbar dafür bin, habe ich mich entschlossen, die Herausforderungen immer wieder anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Ein bisserl hilft es aber schon, dass ich bereits große Erfolg feiern durfte und auch meine Weltrekorde über den Marathon und die 10.000 m ungebrochen stehen.

Wie lautet Deine Marathon-Bestzeit?

01:40:07 Stunden, aufgestellt bei meinem Paralympics-Sieg in Peking 2008 in einem mörderischen Rennen, in dem wir uns zu fünft vernichtet haben und ich meinen eigenen Weltrekord um mehr als drei Minuten verbessern konnte.

Auch wenn Rollen und Laufen also nicht wirklich vergleichbar sind, schaust du dir eigentlich auch Laufwettbewerbe an?

Sogar sehr gern! Ich kenn zwar kaum die Leut’, aber ich schau’ mir alles an, auch Langlaufen und speziell natürlich die Marathons! Es ist für mich so unvorstellbar, dass man über zwei Stunden lang mit mehr als 20 Stundenkilometer unterwegs sein kann – da zieht’s mir gleich die Ganslhaut auf!

Wie geht es Dir da beim Zuschauen seelisch?

Naja, wenn ich zum Beispiel bei einem Langlauf-Wettkampf zuschaue, dann denk’ ich mir eigentlich nur, wie unfassbar faszinierend und ästhetisch diese Sportart ist. Das sehe ich dann ganz von Sportler zu Sportler. Aber klar beschäftigt mich meine Querschnittslähmung immer wieder. Meisten sind es aber eher pragmatische als wehmütige Gedanken, die sich oft etwa darum drehen, wie ich wohin mit dem Rollstuhl komme.

Du hast einmal gesagt, alles dafür geben zu wollen, um wieder gehen zu können. Jetzt sammelt etwa der Wings for Life-Run am 8. Mai wieder Gelder für Forschungsprojekte zur Heilung von Querschnittlähmung. Wie schätzt Du die Entwicklung in diesem Bereich ein?

Grundsätzlich gebe ich mich gerne dafür her, wenn man weiter die Aufmerksamkeit und Sensibilität für etwas verstärken kann, das rundherum positiv ist und vielen Menschen Hoffnung gibt. Was ich so höre, gibt es durchaus vielversprechende Ansätze und sollte es irgendwann etwas geben, erfahren wir es wohl relativ bald. Eins hingegen weiß ich schon jetzt sicher: Selbst, wenn ich nicht wieder werd’ gehen können, sterbe ich einmal als glücklicher Mensch!

Jetzt bist Du 45 und trainierst für deine siebenten Paralympics, 2024 in Paris. Wirst Du mit 50 dann auch noch Rennrollstuhlfahrer sein oder nur mehr Buchautor („Mit Rückgrat zurück ins Leben“), Vortragender in Sachen Motivation und Vermieter wirklich Gästeappartements in Anif?

Keine Ahnung! Ich hab’ immer gesagt, ich höre auf meine innere Stimme. Und wenn die sich meldet und sagt, so, jetzt ist etwas anderes dran, dann gehe ich diesen Weg. Aber solang sich diese Stimme nicht meldet, dann gibt es keinen Grund aufzuhören. Das mache ich erst, wenn es etwas in meinem Leben geben sollte, das wichtiger und größer ist. Aber eins noch zu Paris 2024. Erst einmal muss ich mich sowieso erst qualifizieren. Und das wird ja bekanntlich schwieriger und schwieriger…

Alle Infos zu Thomas Geierspichler, sein spannendes Buch, seine stylischen Appartements & seine packenden Vorträge gibt’s auf www.geierspichler.com

Vorteil im goldenen Käfig 

Im spanischsprachigen Teil der Welt ist der Padel-Sport längst zur Massenbewegung gereift. Mittlerweile schießen die In- und Outdoor-Courts fürs so variantenreiche „Miniatur-Tennis“ aber auch aus dem österreichischen Boden wie die Schwammerln, und immer mehr Landsleut’ begeben sich zum Schwitzen hinter Glas. Ein Erklärungsversuch von Fritz Hutter.

Robert ist 55, wirkt aber jünger. Privat ganz liebevoller Familienvater, respektiert man den Top-Manager beruflich als smart aber hart. Beim Tennis – lange Zeit Robert’s einziges Hobby – ist er speziell im Wiener Speckgürtel als ehrgeiziger, ja verbissener Sandplatz-Wühler a’la Thomas Muster nachgerade gefürchtet. Von für die Gegnerschaft unerträglicher Leichtigkeit in der Beinarbeit oder gar sprühendem Spielwitz weiß allerdings nur ein noch recht überschaubarer und neuer Sportfreundeskreis um den Linkshänder zu berichten. Jene durchwegs deutlich jüngeren Männer nämlich, mit denen Robert etwa seit Pandemie-Beginn vor zwei Jahren seiner neuen Leidenschaft frönt: dem jetzt auch in Österreich so angesagten Rückschlagspiel Padel. 

In die Welt gesetzt wurde der Padel-Sport einst Ende der 1960er-Jahre vom mexikanischen Geschäftsmann Enrique Corcuera. Inspiriert von den aus Platzgründen kürzer gehaltenen Courts fürs sogenannte Platform Tennis auf amerikanischen Kreuzfahrtschiffen, ließ sich Corcuera daheim im Garten ein durch Mauern und Zäune begrenztes Plätzchen bauen, um sich dort mit Freunden heiße Kleinfeldmatches zu liefern – bewaffnet anfangs noch mit hölzernen, eben Paddel ähnlichen, Prackern (spanisch Padél) und ganz fix begleitet von ein paar Margaritas. 

Schnell Feuer gefangen hatte ein enger Freund des nunmehrigen Padel-Erfinders, Alfonso von Hohenlohe-Langenburg – ja, der verstorbene Papa des „Skiprinzen“ Hubertus Hohenlohe. Prinz Alfonso hielt damals unter anderem die Mexico-Verkaufslizenzen eines großen deutschen Automobilkonzerns, war bestens vernetztes Mitglied des internationalen Jetsets und jener Mann, der mit seiner mondänen Hotel-Anlage „Marbella Club“ getrost als Begründer des Luxustourismus an der spanischen Costa del Sol bezeichnet werden darf. Und genau mit dorthin nahm er die Idee „Padel“, baute im Marbella Club zum Gaudium seiner illustren Gäste mehrere Plätze und lud internationale Stars aus Society und Sport zu unterhaltsamen Schaukämpfen. Gematcht haben sich zu dieser Zeit unter vielen anderen Celebs wie Spaniens in den Roaring-Sixties abgöttisch angehimmeltes Tennis-Idol Manuel Santana oder auch die in ihrer Heimat semi-religiös verehrten Mitglieder des argentinischen Polo-Nationalteams. Allesamt infizierten sie sich in Marbella mit dem Padel-Virus. Wieder daheim entfachten sie regelrechte Hotspots. 

Allein in Spanien spielen heute über fünf Millionen Menschen regelmäßig Padel, in Lateinamerika wiederum stöhnen die nationalen Tennisverbände über eine dramatische Abwanderungswellen zum Padel und ums Jahr 2014 kam Padel dann auch nach Österreich – und das, um zu bleiben. 

Deutlich mehr als 10.000 SpielerInnen hetzen hierzulande mittlerweile in allen neun Bundesländern mit maximal 46 Zentimeter langen und um die 300 Gramm schweren Kunststoffschlägern hinter weichen Filzbällen her über die heute publikumsfreundlich durch Glaswände begrenzten und vielfach wetterfesten  20 x 10-m-Courts. Tendenz steigend. Und das wohl eben auch wegen der skizzierten technischen Parameter, welche den „neuen“ Racketsport für die breite Masse verhältnismäßig schneller erlernbar machen, als etwa traditionelles Tennis.

Wobei wir wieder beim Robert sind. Der hat als insgesamt sehr sportlicher, aber technisch eher semi-brillanter Tenniscrack ungelogen üppige Startvorteile in Sachen Auge-Hand-Racket-Koordination und Antizipation der Ballflugkurven. Durch die langsamer anfliegenden Filzkugeln, das kleinere und immer mit einem Doppelpartner geteilte Spielfeld, sowie die deutlich seltener auftretende Gefahr von Schlägen ins Out hat Robert einfach mehr Zeit, plötzlich auch mit raffiniert angeschnittenen Bällen, gefühlvollen Stopps oder auch krachend-präzisen Smashes zu glänzen. Dazu darf das Service beim Padel nur von unten und nach vorherigem Aufspringenlassen des Balles übers 92 Zentimeter hohe Netz ins gegenüberliegende Aufschlagfeld bugsiert werden. 

Auch der massiv tennisaffine Autor versucht sich ab und an im Padel-Glashaus. Hier etwa im Union Trendsportzentrum Prater unweit des Happel-Stadions.

Nicht wirklich ein Nachteil für Robert, und speziell natürlich keiner für Sportlerinnen und Sportler, die völlig bar jeder Racketsporterfahrung den goldenen Padel-Käfig entern wollen, um Einheit für Einheit wachsende Spielfreude zu erleben. Dass Letzteres quasi garantiert ist, liegt nicht nur am speziell anfangs einigermaßen gemütlichen Grundtempo des Balles, sondern etwa auch daran, dass das Racket doch um mehr als 20 Zentimeter kürzer ist, als ein Tennisschläger. Ein Umstand, der die ersten Ballkontakte erheblich erleichtert, weil man die Kugel gefühlt mit der naturgemäß eher vertrauten Hand als mit einem sperrigen Fremdkörper streicheln darf. Außerdem spielt die physikalisch korrekte Ausrichtung der Körperachsen beim Ballkontakt und damit die präzise Richtung der Schläge eine deutlich weniger wichtige Rolle. Der Ball kann nach korrektem Aufspringen in der anderen Courtfläche ja nicht ins Aus gehen. Umgekehrt wiederum darf, ja soll man gegnerische Bälle auch noch nach regelkonformem Boden-Glaswand-Kontakt schlagen, was dem Padel-Spiel eine quasi unerschöpfliche taktische Würze verleiht. 

All das ermöglicht selbst völligen Sport-Rookies in kürzester Zeit unterhaltsame Matcherfahrung – gezählt wird beim Padel übrigens wie beim Tennis – und damit Motivation für noch mehr freudvolles Bewegen. Außerdem kann die neue Disziplin Resultate zustande bringen, die selbst einer wie Robert die längste Zeit für unmöglich gehalten hätte. So schlug er erst neulich an der Seite eines zuletzt doch etwas wuchtiger gewordenen Ex-Kickers ein Duo, welches von einem österreichischen Tennisprofi angeführt wurde. SportlerInnen-Herz, was willst du mehr?

Infobox:

Aktuell kann Padel auf über 30 Anlagen in ganz Österreich gespielt werden. Leihschläger und -Bälle gibt es in den allermeisten Fällen genauso vorort, wie Kurs- oder Einzelstundenangebote bei mittlerweile gut ausgebildeten Trainerinnen und Trainern. Außerdem hat sich österreichweit zuletzt eine sehr vitale Turnierszene mit Wettbewerben für AnfängerInnen und Fortgeschrittene etabliert. Einen guten Überblick über Standorte etc. gewinnt man zum Beispiel auf dem Internetportal der Austrian Padel Union via www.padeltennis.at

Mein kompaktes Batzerl Olympiasenf

Sotschi? Ganz offensichtlich gigantomanisch durchgeknallt! Putin? Nach intensivem Studium der Materie wohl auch ohne persönliche Bekanntschaft problemlos als menschenverachtend und machtgeil einzustufen!

Aber: Wer bei den Interviews von Dominik Landertinger, Matthias Mayer und Nicole Hosp ein bissi was von dieser tiefen Freude, dieses offenbar überwältigenden Glücksgefühls mitbekommen hat – und jetzt bitte nicht mit „alles unreflektierte Sportskanonen“ kommen – der kriegt eine Ahnung, wieviel für die eigentlichen Protagonisten tatsächlich am Spiel steht. Kommt mir grad bei Sotschi und diesmal aus der Ferne vielleicht noch intensiver vor als bei den bisherigen Spielen in meinem Beobachtungszeitraum. Fazit: Ich gönne allen Aktiven bei Olympia und den folgenden Paralympics die Chance selbst in Sotschi ihre Träume zu leben!

Für den Rest gilt mein „bescheidener“ Olympiatraum: Möge der globale Aufschrei nicht ungehört verklingen, sondern vielleicht wenigstens bei künftigen Vergaben mitschwingen…

Die voraussichtlichen Opfer des Sendeplans von ORF Sport+ 2014 – Behindertensportler, Schulkinder, Frauen, Handball, Volleyball

Die voraussichtlichen Opfer des Sendeplans von ORF Sport+ 2014 - Behindertensportler, Schulkinder, Frauen, Handball, Volleyball

Eben Einblick in den Sendeplan des Spartensenders „Sport“ im ORF bekommen – siehe Foto – und dazu einen Sideletter mit den im kommenden Jahr vom Sparstift betroffenen Disziplinen eingesehen. Voraussichtlich trifft es also nicht nur den Behinderten- und Schulsport (Magazine dem Vernehmen nach gestrichen), nein beispielsweise muss angeblich auch der Frauenfußball dran glauben – also gleich einmal alles was nicht nur aus sportlicher sondern auch soziologischer und volksgesundheitlicher Sicht sinnvoll war. Immerhin, Integration war eh nie ein Thema drum wird es auch nicht gekürzt oder gestrichen. ebenfalls unter den kolportierten Opfern: Volleyball und Handball.

Insgesamt ergibt der 24-Stundenplan dann täglich, jeweils beginnend um 2 Uhr, folgendes Layout (Foto):
2 bis 5: Wiederholung Freitag
5 bis 8: WH Donnerstag
8 bis 11: WH Sonntag
11 bis 14: WH Samstag
14 bis 17: WH Freitag
17 bis 20: WH Donnerstag
20 bis 23: ERSTSENDUNG MONTAG!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
23 bis 2: WH Sonntag

Das kann sich also eindeutig nur um ein längst verworfenes Konzept handeln, oder?

Die forsche Forderung nach Förderung

Man merkt’s grad am prall gefüllten Maileingangsordner, wie die heimischen Sport-Cluster nun sukzessive draufkommen, dass der Sport in den immerhin  doch bis Weihnachten anberaumten Koalitionsgesprächen maximal die Rolle des Wunschzettelschreibers spielen wird  dürfen. Da stapeln sich Absichtserklärungen und Zukunftskonzepte mit Versprechen und Beschwerden. Da fließt der prophylaktische Angstschweiß davor, dass die insgesamt mehr als 200 Millionen Euro Fördergelder aus Bundes- und Landeskassen künftig an die Richtigen und nicht an die Besten verteilt werden könnten. Oder umgekehrt. Oder, noch schlimmer, an die anderen.

Sapperlot, wozu hat man sich da jahrzehntelang bis runter zum kleinste Platzwart politisch vernetzt, wenn sich die „Großparteien“ jetzt gar nicht kümmern, ja am End‘ den Sport wieder einfach auf irgendein Wald-und-Wiesen-Ressort draufpicken statt ihm endlich ein eigenes Ringstraßen-Palais mit ausreichend Limousinen-Stellplätzen – dem Vernehmen nach, ist im viel zu kleinen Haus des Sports unweit des Wiener Schwarzenbergplatzes weder drinnen noch draußen ausreichend Raum fürs Visionieren  bzw. Parkieren – zu verehren?

Aber woher die Panik? Daher, dass der Sport in Österreich, ungelogen eins der reichsten Länder am Globus, praktisch seit Ende des  1. Weltkrieges zum allergrößten Teil ein Produkt öffentlicher Basis- ja Hauptfinanzierung ist und Generationen von Funktionären und Verbands- wie Vereinsmanager keinen anderen Plan haben, vom Amtsantritt weg jährlich ausschließlich Förderanträge zur Aufrechterhaltung des Betriebes auszufüllen.

Was in Nachkriegs- und Wiederaufbauzeiten noch würdig und Recht war, scheint  heute zu wenig. Wo sind die Ideen der  Verantwortlichen, ihre Sportart derart attraktiv zu präsentieren  und kompetent zu repräsentieren, dass sich die nichtstaatlichen Sponsorentöpfe weiter öffnen? Wo ist die Bereitschaft einiger Athleten zu realisieren, dass sie für die Wahl von Beruf und und Berufung in aller erster Linie einmal selber veranwortlich sind und nicht  jeder vergossene Schweißtropfen das Blut Christi für jeden einzelnen einer ganze Nation und deshalb zwingend opulent förderungswürdig  ist?

Um Missverständnissen vorzugreifen: Ich bin nicht für die Abschaffung der öffentlichen Sportfördertöpfe. Aber ich bin für erzieherische Maßnahmen, welche Verbände mit sanftem Druck in die Moderne zu surfen lassen und nur gezielt supporten, wenn sie einen merklichen Teil ihres Budgets selbst aufbringen. Wer im Spitzensport künftig nicht gewillt ist, sein Schicksal zumindest mit einer Pranke selbst anzupacken, dem gehören die Gelder noch massiver dorthin verschoben, wo sie sowieso am besten aufgehoben wären – in den Kinder- und Jugendsport.

Außerdem bin ich dafür, jungen Sportlern kraftvoll einzuimpfen, dass zugesprochene Fördersummen nicht als Selbstverständlichkeit, ja als Pflichtprogramm zu sehen sind, sondern (unabhängig von der Höhe UND den Beträgen, die andere kassieren) als Startkapital, Auszeichnung und Ermunterung. Wichtig dabei: REALISMUS. Wären den Österreichern im Kollektiv wirklich sämtliche, im Sport erbrachte Leistungen derart wichtig, wie den Akteuren verständlicherweise selbst, und würden sie sich nach Medaillen „ihrer“ Athleten tatsächlich schneller, höher und stärker fühlen. Dann, ja dann gäbe es wahrscheinlich kein Gejammer um jeden einzelnen Fördernetsch. Dann hätt die Politik das Gefühl, was Richtiges zu tun, wenn sie Geld in den Sport pumpt und dann würden sich auch die Sponsoren aus der  echten Welt um die besten Plätze auf den Leiberln von Athleten egal welcher Disziplin raufen.

So ist es aber nicht. Leider oder Gott sei Dank. Österreich geht es nämlich vergleichsweise hervorragend. Dem Volk müssen weder Brote noch Spiele geschenkt werden, um es von der Revolution abzuhalten und international erbrachte, sportliche Erfolge überhöhen das Selbstwertgefühl nur einiger weniger Österreicher. Der größere Rest ist mit sich selbst bzw. dem im Berufs- oder Familienleben erreichten zufrieden. Über rot-weiß-rote Siege freut man sich, kommt aber in Wahrheit die eine oder andere Olympiade auch ohne aus. Wohlstand und Leistungsfähigkeit in anderen Bereichen düngen zwar nachweislich den Boden für Sport als mehr oder weniger exklusiven Freizeitvertreib, lassen aber vielfach die Äcker des weltweit beklatschten Ruhms brach liegen.

Wie geht eigentlich Präsident*in?

Auch aus der eigenen Genese heraus liegen mir etwa Athlet*innen näher am Herzen als „deren“ jeweilige Funktionärsgilde. Eine Kategorisierung der bundesweit höchsten Repräsentant*innen ihrer Sportart traue ich mich trotzdem anzustellen. Vielleicht wird’s für geneigte Leser*innen ja auch eine kleine Stütze in der Beurteilung, wer dem Sport wirklich was bringt und wer sich nur auf lichter Höhe der VIP-Tribüne im edelmetallischen Abglanz seines transpirierenden Bodenpersonals sonnt.

Oberstes und leicht nachvollziehbares Kriterium in meiner persönlichen Bewertungsmethodik ist der öffentliche Zustand zur Planung und Sicherung der Zukunft. Wie geht man mit dem aktuellen Nachwuchs um, wie versucht man künftigen zu generieren und – wichtig – wen will man dafür hauptsächlich zahlen lassen? Wenn ein Präsident oder, leider deutlich seltener, eine Präsidentin gleich nach der Wahl zuerst Bund und dann Land um eine Erhöhung der Fördermittel ansudert statt ein schlüssiges, gemischt finanziertes Konzept für die Optimierung des sportlichen Outputs vorzulegen, dann hat man einen/eine vom altösterreichischen Schlag vor sich und kann ihn/sie als Auslaufmodell wieder abhaken. Kommt aber jemand, die oder der es versteht, den eigenen wirtschaftlichen/sportlichen/politischen Erfolg oder gar eine weithin unumstrittenene menschliche Integrität dazu zu nutzen, um die jeweilige Disziplin endlich aus der Rolle des antiquierten Fördernehmers raus- und in jene des fortschrittlichen, aus kreativ aber ehrlich lukrierten Sponsorgeldern und öffentlichen Zuwendungen befeuerten Vorzeigeverbands reinzuholen, dann sollt‘ man gut zuhören. Weil dann spricht jemand, der kapiert hat, dass die Interessen eines einzelnen Bevölkerungssegments nicht zur Belästigung oder Belastung für alle anderen werden dürfen.

Trotzdem ist die Mittelbeschaffung nur eine von vier nötigen Kernkompetenzen eines Präsidiums. Dazu kommen noch echte, kommunizierbare Begeisterung fürs Thema, solides Fachwissen und die Gabe, den Populismus intelligentem Realismus zu opfern, um Probleme wirklich an der Wurzel packen zu können. Obwohl ich die Antwort zu kennen glaube, würd‘ mich interessieren, ob es beispielsweise tatsächlich der allerorts medial herbeigejammerte, oft sündteure Bau von zusätzlichen Tartanbahnen, 50-Meter-Becken, Gymnastikhallen, Schnitzelgruben etc. ist, der Gold regnen lässt, oder aber doch die gezielte Investition in die, auch nach internationalen Maßstäben gehaltvolle Aus- und Weiterbildung von Trainer*innen. Von echten Fachleuten, die ihr bestehendes oder künftig vielleicht sogar höheres Gehalt wert sein und für ihre Arbeit mit den Jungen und den Vielversprechenden von den weltweit Besten lernen wollen.

Wo sind sie also, die Entscheidungsträger*innen, die es verstehen, aus bekömmlichen Zutaten wie Eloquenz, Integrität und Kreativität einen Cocktail zu mixen, der für den Sport und seine Fans wie ein belebender Energy-Drink statt wie jenes benebelnde Gesöff wirkt, das ungebrochen vielerorts serviert wird? Ob sie tatsächlich grad an den Rudern des Sports sitzen, könnte man gerne anhand des oben skizzierten Jobprofils beurteilen. Ich persönlich kenne nur wenige Exemplare dieser eigentlich schützenswerten Art. Für zweckdienliche Hinweise zur Erweiterung dieser exotischen Menagerie bin ich zu jeder Zeit dankbar.

Gesundes Zuckerl

Also doch. Die tägliche Turnstunde an den Pflichtschulen. Von der BSO www.bso.or.at nach den für den damaligen Sportminister so unerfolgreich (weil ohne Kuschelbilder mit Medaillengewinnern) beendeten Sommerspielen 2012 mit viel Wucht ins Jammertal geschleudert, darf diese alte Idee der Dachverbände und Gesundheitsförderer nun im Herbst 2014 offenbar tatsächlich an den Start siehe Der Standard. Nachdems der Bundeskanzler bei einer Vorwahlwanderung mit willigen Spitzensportlern vollmundig postulierte, wird man also jetzt möglicherweise in Bälde sehen, ob für die Umsetzung tatsächlich ausreichend Infrastruktur und Kooperationswillen mit dem organisierten Sport – ohne wird’s auch aufgrund rapide sinkender Lehrerzahlen eher nicht gehen – da ist. Möge die Übung im Sinne unserer Kinder gelingen.
Dass aus dieser Initiative unmittelbar Medaillen und Pokale gegossen werden können, glaubt hoffentlich eh niemand mehr. Was allerdings nach einem Blick ins Standard- Forum stutzig macht ist, dass selbst zahlreiche Bildungsbürger nichts etwa von der nachweislich positiven Wirkung von motorischem Training auf die allgemeine Hirnentwicklung von Kindern ahnen und sich nun in ergreifender Manier Sorgen darum machen, ob denn künftig eh auch noch die Herren Duden und Pythagoras zu ihren über Jahrhunderte ersessenen Rechten kämen. Hier kann ich nach eingehenden Selbststudien mit meiner grad siebenjährigen Tochter Entwarnung geben. Für sie und ihre Mitschüler war die tägliche Turnstunde dank einer höchst engagierten Lehrerin in der Ersten vergnügliche Pflicht und im kollektiv panierte man die anderen Pennälertruppen aus den traditionell statisch geführten Klassen 1b und-c nicht nur bei Völkerball und Co. sondern auch bei sämtlichen Lese-, Schreib- und Rechentests. Nicht nur für mich ist der Zusammenhang ähnlich ursächlich wie die Tatsache, dass unsere Tochter auch durch ihr nun schon lebenslanges und intensives Bewegungsprogramm jede Menge Selbstsicherheit und Konzentrationsfähigkeit gebunkert hat. Und vor allem eine Riesenportion Lebensfreude.
Es lebe also der Sport – von mir aus gern dann auch amtlich und täglich in der Schule. Vielleicht wurde das augenscheinlich Wahlzuckerl ja tatsächlich nach einer bekömmlichen Rezeptur gegossen. Und wenn nicht, ist es auch wurscht, denn eigentlich sollt das Bewusstsein der Kids eh in erster Linie von den Eltern geschärft werden …

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