Noch ein Zehnjähriges! 2011 zog Thomas Muster nach einer Niederlage gegen Dominic Thiem dann wirklich den Schlussstrich unters Profitennis. Was in den vielen Jahren davor geschah, sucht nicht nur in den rot-weiß-roten Sport-Annalen seinesgleichen. Ein hartnäckiger Beobachter des Phänomens „Muster“ erinnert sich. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, dafür höchst selektiv.
Meine sehr persönliche Story über mein „Leben“ mit dem rot-weiß-roten Sport-Phänomen Thomas Muster erschien zuerst im Print-Magazin der Internetplattform www.tennisnet.com. Hier geht’s zum ePaper-Download
„Hast du gesehen, was man mit Links alles anstellen kann“, will an diesem Pfingstsonntag 1984 der Vollbärtige am Fahrersitz von mir wissen. Er, mein erster und einziger Trainer, und ich, damals grad 16, sind auf der Heimfahrt vom idyllischen Gars am Kamp. Das Wunderärmchen, von dem der väterliche Freund mir Nordwaldviertler Nachwuchshoffnung vorschwärmt, hat sich kurz zuvor beim legendären Garser Pfingstturnier mit rasantem Schwung um einen gachblonden Steirerbuam gewickelt. Die konstante Power und die verrückte Drehzahl in den Topspins des Teenagers beeindruckt damals aber nicht nur uns Landeier. Bei den Matches des blutjungen Thomas Muster hängen in die Jahre gekommene Weltstars wie Balazs Taroczy, Heinz Günthardt oder Pavel Slozil genauso staunend am Zaun, wie die Austro-Elite um Hans Kary, Peter Feigl oder Hans-Peter Kandler. Allen zusammen ist klar, dass das 17-jährige Hendl im ballonseidenen Trainingsanzug deutlich mehr zu bieten hat, als sein beängstigendes Stöhnen.
Unmittelbar nach diesem Auftritt in jenem Ort, dem er nur fünf Jahre später als heftig therapierender Sitztennisspieler zu weltweiter Bekanntheit verhelfen wird, geht es dann dahin mit Thomas Muster. Und ich bleib’ fasziniert dran am eineinhalb Jahre älteren. Über das anfangs noch Kleingedruckte in der elterlichen Abozeitung und immer häufigeren Kurzsportmeldungen im TV krieg ich ihn zunächst nur medial mit. Sein Daviscup-Debüt mit dem ersten von insgesamt 36 Einzelsiegen zum 5:0 über Norwegen, erfolgreiche Debüts bei den ATP-Heimturnieren von Kitz und Wien oder den Sprung unter die Top-100 mit 18. Dann, 1986, den ersten Titel auf der großen ATP-Tour am Sand von Hilversum, wo der Leibnitzer Linkshänder im Best-of-Five-Finale dem Schweizer Jakob Hlasek nicht den Funken einer Chance lässt.
Aber blanke Daten und Fakten, etwa auch zu 43 weiteren Turniersiegen, lassen sich heut’ easy googeln. Und Bilder, wie jene vom denkwürdigen Daviscup-Halbfinale gegen die USA 1990 im Happel-Stadion, kann man nach wenigen Maus-Klicks gemütlich daheim im Patschenkino nachschauen. Meine Wenigkeit darf als Sportjournalist aber zusätzlich in beruflichen Erinnerungen kramen. Vielleicht wollen Sie ja mitstöbern, um Ihr eigenes Bild von einem der weltweit bekanntesten, lebenden Österreicher noch um’s eine oder andere Mosaiksteinchen zu ergänzen.
Zum Auftakt kommt mir ein wochenlang eingefädeltes Telefoninterview für Österreichs legendäres Jugendmagazin Rennbahn-Express im Sommer 1993 in den Sinn. Nur Tage nach einer weiteren Wimbledon-Niederlage jenes Mannes, der auf Sand und Hartplatz längst zu den absoluten Weltstars zählt, gibt Manager Ronnie Leitgeb endlich den Hörer an Thomas Muster weiter. Schon das allein war ein Erfolg. Nach dem so fatalen Unfall von Key Biscayne und dem sensationellen Comeback nur fünf Monate später erhob Leitgeb nämlich eine höchst selektive Medienauswahl gefühlt zum Stilmittel der Mythenbildung. Was dann folgt, ist mein fix allerkürzestes Interview. Erste Frage: „Was ist der Grund dafür, dass du noch immer kein einziges Match auf Rasen gewonnen hast?“ Antwort: „Und ich hab geglaubt, du verstehst zumindest ein bisserl was vom Tennis.“ Danach tuut, tuut, tuut und aus – der trockene Return eines Mannes, dem es bis heute gelingt, sich für Prioritäten aufzusparen.
Wenige Monate später nimmt sich Thomas Muster dann trotzdem Zeit, sich von mir in einer Wiener Hotel-Suite den „Goldenen Pinguin“, quasi der Rennbahn-Express-Oskar für den beliebtesten Sportler im Land, überreichen zu lassen.

Speziell lässig dann auch zwei weitere von bis heute zahlreichen Arbeitsgesprächen mit jenem Mann, der im Frühjahr 1996, nicht ganz ein Jahr nach seinem Grand-Slam-Triumph in Paris, für sechs Wochen als Nummer 1 der Tenniswelt regierte. Die hier nun erwähnten Interviews wurden nach dem damals nicht erklärten Rücktritt 1999 geführt.
Zum ersten großen Frage-Antwortspiel für das Sportmagazin nach Ende von Musters erster, in Australien geführter Ehe brettert der Steiermarkheimkehrer in Rekordzeit aus Graz nach Wien – unvergessen der selbst nach zwei Stunden Gespräch noch knisternde 500-PS-Bolide draußen vorm Cafe Landtmann. Unsere Themen: das bald danach angenommene Job-Angebot als Daviscup-Captain, Thomas Musters Anfänge als Unternehmer oder die verrückte Nacht nach seinem bis dahin letzten Profimatch, der Niederlage gegen Nicolas Lapentti in Roland Garros 1999.
Noch entspannter verläuft Jahre später die „Gegeneinladung“ zu Musters Lieblingswirten im südsteirischen Leibnitz. Dort schwadroniert dann ein gereifter Mitvierziger über die Gründe seines temporären Comebacks, welches er auch als Feldstudie zum angeblichen Tempo im modernen Tennis („Früher war es schneller.“) verstanden wissen will. Er spricht über seine, durch Futterneid getrübte Begeisterung für den Weinbau, seinen Zustand zu allem Digitalen oder auch die ideenfeindliche Bürokratie in Österreichs Politik und Sport. Und er lässt sich erstmals mit Sehhilfe aus „Tom’s“-Brillenkollektion ablichten.
Selbst mit verbundenen Augen hätte sich Thomas Muster mit mir auf ein und denselben Tennisplatz stellen können. Etwa beim Pro-Am-Event im Rahmen der Erste Bank Open, wo ich selbst noch 2018 in gutmütig vorgetragenen Schlägen dieses gewisse Extra an Vorwärtsdrall zu spüren bekomme, oder bei einem einst zusammen mit Tennisnet-Boss Alex Antonitsch organisierten Racket-Test. Dabei drückt mir Muster zum Vergleich das Werkzeug aus seiner Hochzeit ins Pratzerl: über 370 Gramm schwer, bespannt mit an die 40 Kilopond und einem megadicken und am unteren Ende mit einem mächtigen Knauf getunten Griff. Immerhin, beim bereits sechsten Schlag gelingt es mir die Kugel damit übers Netz zu wuchten.
Doch ein Stück weit spektakulärer ist jene Bilanz, die sich der Sohn von Inge und Heinz Muster mit dem erwähnten Schlagzeug erkämpft hat. Von vielen seiner 898 erfassten Profimatches hüte ich höchst vitale Eindrücke, bei nicht wenigen war ich live dabei. Etwa bei sämtlichen Daviscup-Heimspielen ab 1988 inklusive des Thrillers gegen Deutschlands Michael Stich in Unterpremstätten im März 1994 oder vier Jahre davor eben im Happel-Oval. Klar vor mir habe ich Musters Finalsiege in Kitzbühel 1993 und in St. Pölten 1994 und 1995. Genau wie die Niederlage im von Kotzen & Krämpfen geprägten Stadthallen-Endgame gegen den ein Jahr jüngeren Horst Skoff im Jahr 1988. Und selbstverständlich ist mir das gegen Michael Chang letztlich glatt gewonnene Paris-Finale 1995 präsent – selbst wenn ich dieses zunächst nur bruchstückartig in den Wechselpausen einer Meisterschaftspartie irgendwo in Niederösterreich auf einem an den Zaun gerückten Portable-Fernseher verfolgen konnte.
Das für mich beeindruckendste Muster-Match aller Zeiten steigt aber im Herbst dieses Mega-Jahres 1995 mit satten 12 Titeln auf ultraschnellem Teppich im deutschen Essen. Im Semifinale erledigt Thomas Muster dort das damalige Maß aller Dinge, den bereits siebenfachen Major-Sieger Pete Sampras, in zwei Sätzen. Eine Partie, die nicht nur mich staunend zurücklässt. Vor allem, weil der gefürchtete Kämpfer Dinge blank zieht, die nur ganz wenige im Werkzeugkoffer eines Mannes vermutet hätten, den man in Frankreich „Le Bûcheron de Leibnitz“, den „Holzfäller aus Leibnitz“ nennt. Nämlich wohldosierte Return-Chips auf Sampras’ Aufschlagraketen, gefühlvoll abgeschlossene Netzattacken und sensationelle Passing-Shots auch von der Rückhand.
An diesem Abend setzte Thomas Muster ein weiteres Zeichen und zeigte der Tenniswelt, was er tatsächlich alles mit Links anstellen konnte …
PS: Ich persönlich habe Thomas Muster immer vor allem für seine Art respektiert, Ziele zu definieren, diese dann mit aller Konsequenz anzustreben und letztlich auch zu erreichen. Wäre cool, wenn der heute erst 53-Jährige dieses Odeur doch wieder auf einem Tennisplatz verströmen wollte – idealerweise auf einem mit jungen ÖsterreicherInnen drauf.