Auf einen Kaffee mit Irina Sadovnik

Das folgende Interview erschien im vergangenen Sommer in leicht gekürzter Form im Magazin LUST AUFS LEBEN 

Als Wissenschaftlerin arbeitet sie daran, Leukämie heilbar zu machen. Als Sportlerin ist Irina Sadovnik Weltmeisterin am coolen BMX-Rad. In „Lust aufs LEBEN“ erzählt sie, wie gut beides zusammenpasst, weshalb man Tattoos nicht unterm Laborkittel verstecken muss und wie man auch von einem Forschungskongress „Gold“ heimbringt.

Interview: Fritz Hutter

Tee oder Kaffee?

Definitiv Kaffee! Vor allem in der Früh. Das Einzige, das ich vor der ersten von meist zwei großen Tassen mache, ist den Kaffee. In der klassischen Espressokanne, und immer nur fair gehandelten Bio-Kaffee. Nachhaltigkeit ist mir sehr wichtig – und grad bei der Ernährung lässt sich diese verhältnismäßig easy umsetzen.

Öfter noch als die Tasse schwenken Sie das Reagenzglas. Nämlich am Ludwig Boltzmann Institut für Hämatologie und Onkologie, welches an der Med Uni Wien beheimatet ist. Woran forschen Sie genau?

An der Phänotypisierung und Charakterisierung von leukämischen Stammzellen. Also am „Aufspüren“ mithilfe der besonderen Proteinstruktur von jenen Zellen, welche die chronische Leukämie tatsächlich auslösen, und in weiterer Folge an deren zielgerichteter medikamentöser Zerstörung. Dies könnte für die Patientinnen und Patienten eine schonendere Therapieform bringen, als etwa eine Knochenmarktransplantation.  

Blutkrebs heilbar zu machen ist eine große Sache von globaler Tragweite. Wie wird man Teil eines derartigen Projekts?

Eigentlich habe ich ja Genetik und Mikrobiologie studiert. Das ist Grundlagenforschung, in der man beispielsweise nach noch undefinierten Genen sucht – das war mir dann doch ein bisserl zu wenig Praxisbezug. Deshalb habe ich mein Doktorat in Angewandter Medizinischer Wissenschaft absolviert. Anfangs wollte ich in die Brustkrebsforschung, auch weil meine Mutter 2008 an Brustkrebs erkrankt ist. Auf der Suche nach einem guten Labor fürs Doktoratsstudium bin ich aber dann auf meinen heutigen Arbeitsplatz gestoßen, wo ich von einem spannenden Team sofort großartig aufgenommen wurde.

Wollten Sie es eigentlich schon immer ganz genau wissen?

Ich war als Kind einer Lehrerin und eines Lehrers schon immer eine Tüftlerin – lustigerweise ganz im Gegensatz zu meinem älteren Bruder (lacht). Mein erstes Mikroskop hab’ ich mit 13 bekommen und sofort alles untersucht. Der Papa hat sich für eine Blutprobe sogar in den Finger stechen müssen. Da hat sich also nicht viel geändert …

Wer stundenlang durchs Mikroskop blickt, braucht Ausgleich. Viele versuchen ihren Kopf mit Sport „frei“ zu bekommen. Offenbar auch Ihre Methode, oder?

Eindeutig! Als sogar „doppeltes“ Sportlehrerkind – beide Eltern unterrichten Sport – bin ich schon als kleines Kind in Kontakt mit vielen verschiedenen Sportarten gekommen und dann auch ins Klagenfurter Sportgymnasium gegangen. Von der Akrobatik über Tennis, Volleyball, Badminton usw. durfte ich alles ausprobieren. Durch diese vielfältigen Erfahrungen bin ich wohl bis heute so etwas wie ein Bewegungstalent geblieben.

Aber Flatland-BMX?

Dazu bin ich mit 18 über meinen damaligen Freund gekommen. Er ist schon gefahren, irgendwann ist mir die Zuschauerei zu fad geworden und ich hab’ gesagt, gib’ amoi her des Kinderradl. Damals wurde eine Leidenschaft entfacht, die mich wohl nicht mehr loslassen wird.

Worum geht es in dieser Spielart des BMX-Sports genau?

Während man in anderen Disziplinen Rennen etwa wilde Jumps über Rampen zaubert, zeigen wir unsere Tricks eben auf einer flachen Ebene. Am wichtigsten ist dabei, dass man verschiedene Kombinationen von Moves präsentiert, ohne dazwischen abzusteigen. Speziell taugt mir, dass es ein Freestyle-Sport ist. Es gibt kein vorgegebenes Pflichtprogramm, sondern man kann ganz frei wählen, welche Tricks man wie kombinieren will. Beim Flatland-BMX kannst Du Deiner Kreativität freien Lauf lassen.

Letztlich wird trotzdem nach dem Geschmack von Punkterichter*innen über Sieg oder Niederlage entschieden. Das muss einer Naturwissenschaftlerin doch auch ein bisserl wehtun.

Kreativität und Style lassen sich eben nur auf diese Art bewerten. Aber die Judges bei den World Cup Series oder bei einer WM wissen sehr gut, was sie tun und haben das Potenzial und die Entwicklung von uns Fahrerinnen und Fahrer über Jahre genau beobachtet. Beurteilt wird außerdem noch die Sicherheit in den Tricks und der möglichst geschmeidige Flow dazwischen. Wackeln ist da verpönt.

Sie sind regierende Weltmeisterin und tragen die für Champions reservierte Armbanduhr des Radweltverbandes. Was hat Ihnen im November 2019, im chinesischen Chengdu den Sieg gebracht?

Sicher auch, dass ich zwei Monate davor mit einem finnischen Trainer, der früher selbst erfolgreicher Contest-Fahrer war, ein ganz spezielles Online-Training begonnen habe, das sich sehr auf einen flüssigen, konstanten Stil konzentriert. Vielleicht hat mir auch eine gewisse „Pfeif-mir-nix“-Einstellung nach einer Verletzung im rechten Knie, die mir zwei Tage vor dem WM-Finale passiert ist, geholfen. Die scheint das Stresslevel in meinem Kopf gesenkt zu haben. Letztlich ist mir dann ein fehlerfreier Run gelungen.  

Dem Vernehmen nach kommen Sie manchmal sogar von Dienstreisen als Wissenschaftlerin mit „Gold“ nach Hause.  

Ja, genau (lacht)! Das war beim Kongress in Philadelphia. Für den habe ich eine Zusammenfassung, ein Abstract, von zwei unserer Projekte eingereicht. Auch ein kurzer Vortrag war geplant. Davor hat eine unabhängige Jury die Qualität der Abstracts „gejuded“. Vor meinem Vortrag in der „Best Abstract Session“ ist dann plötzlich ein honoriger Herr, ein sehr bekannter Forscher, auf die Bühne gekommen, um mich völlig überraschend als Gewinnerin des „Best Abstract Awards“ anzukündigen. Mein Vortrag dürfte danach ziemlich im Happysound rübergekommen sein. Den Amis hat’s gefallen …

Die Fähigkeit, unter Druck performen zu können, hilft also da wie dort?

Sicher. Aber weder beim Sport noch bei wissenschaftlichen Vorträgen geht was ohne perfekte Vorbereitung. Eine Erkenntnis übrigens, die ich nach einer völlig problemlosen Schulzeit zeitgleich am Beginn meiner meiner BMX-Karriere und meines Studiums gewonnen habe. Da wie dort musste ich nämlich erstmals in meinem Leben wirklich hart für den Erfolg arbeiten – und das hatte ich erst zu lernen.

Apropos, hart arbeiten müssen in der Forschung alle. Trotzdem gilt auch sie als von Männern dominiert. Warum?

Generell gibt es grad in den Naturwissenschaften eigentlich sehr viele Frauen. Je weiter man aber rauf schaut, desto dünner wird der Anteil. Ein Grund dafür ist alt bekannt: So gut ihr Männer uns auch unterstützt, den Hauptteil beim Gründen einer Familie könnt ihr uns halt doch nicht abnehmen. Und grad, wenn man eine akademische Karriere anstrebt, will man meist nicht sofort nach der Dissertation Kinder kriegen, sondern sich zunächst beruflich etablieren. Ist man dann vielleicht mit Mitte 30 bereit für eine Familie, muss man häufig in einer Phase aussteigen, in der sich die männlichen Kollegen bereits habilitieren und dann zum Beispiel eine Professur annehmen können.

Wie steht es da in der BMX-Szene?

Der Frauenanteil steigt erfreulicherweise rasant an. Als Teil der Jury eines weltweit ausgetragenen Online-Contests kann ich das sehr genau beobachten. Da kommt mächtig was nach. Vor allem in Japan boomt unser Sport extrem. An der Spitze sind wir heute mittlerweile gut 30 Frauen und Mädchen, die um die Top-Platzierungen fahren können. Noch vor ein paar Jahren waren wir nur eine Handvoll.

BMX ist Teil der Streetkultur und auch von der Mode geprägt. Was sind Ihre speziellen Trademarks?

Also Kapperl und hohe Stutzen trage ich fast immer – letztere vor allem, weil man sich doch öfter die Schienbeine anhaut –, im Sommer eine kurze Hose dazu und ein Sport-Top, das aktuell grad sehr gern altrosa oder mit Blumenmuster sein darf. Aber ich muss aufpassen, dass sich das nicht zu sehr mit meinen Tattoos schlägt (lacht).

Weiß man im Labor, dass Sie unterm weißen Mantel Tatoos und nicht selten die BMX-Dress tragen oder muss man das verstecken?

Aber nein. Ich weiß von zwei Kolleginnen, die ebenfalls tätowiert sind. Generell unterstützen mich aber alle im Labor auch bei meinem Sport voll. Nach der WM wurde zum Beispiel eine Willkommensparty geschmissen. Ich glaub’, ihnen taugt es ein bisserl, dass sie mit mir eine Art bunten Hund im Team haben, und so ein bisserl Farbe in die für Außenstehende manchmal etwas bieder wirkende Forschung kommt. Übrigens wird mein Brotberuf umgekehrt auch in der BMX-Szene mit viel positivem Interesse wahrgenommen.  

Hand aufs Herz, kommt bei Ihnen zwischen Laborkittel und cooler Streetwear nicht gelegentlich die Lust auf, sich elegant zu stylen? 

Immer öfter. Früher hab’ ich das gar nicht gehabt und mich in Kleid & Co. echt unwohl gefühlt. Aber mittlerweile bin ich 36 und zieh’ hin und wieder gern einmal ein fesches Rockerl an. Und ja, es freut auch mich, wenn ich dafür positives Feedback kriege.

Schließen wir zum Finale noch einmal den Kreis zur Bekämpfung von Krebs. Als BMX-Sportlerin engagieren Sie sich unter anderem via Social Media für die Initiative „Faster than Skin Cancer“. Was hat sich diese zum Ziel gesetzt?

Die Idee geht von einer ganz jungen Niederländerin aus, die selbst von Hautkrebs betroffen war und mich angeschrieben und um Support bei der Bewusstseinsbildung in Sachen Vorbeugung und Früherkennung  ersucht hat. Speziell, weil die Awareness für die schädliche Wirkung von UV-Strahlung bei manchen Outdoor-Sportarten noch nicht so hoch ist, wie vielleicht im Surfen, wo sie bereits super kommuniziert wird. Dabei geht’s nicht nur ums Eincremen, sondern zum Beispiel um regelmäßige, dermatologische Muttermalkontrollen. Ein extrem wichtiges Thema, für das ich natürlich auch von Berufs wegen stark sensibilisiert bin. Zusätzlich bin ich übrigens auch noch als Botschafterin der Aktion „Laufen gegen Krebs beim Niederösterreichischen Frauenlauf“ aktiv.   

WORDRAP:

Lebensmotto: Challenge your limits!

Das esse ich am liebsten: Kärntner Kasnudeln

Diese Tier ist mir am ähnlichsten: Der Katta – weil er immer so g’schaftig ist. Genau wie ich.

Energiequelle: 15 Minuten Meditieren. Aber immer erst nach dem Kaffee.

INFOS: Mag(a).Dr. Irina Sadovnik, 36, stammt aus Klagenfurt und ist Wissenschaftlerin am Ludwig Boltzmann Institut für Hämatologie und Onkologie in Wien. Aktuelles Spezialgebiet: die Phänotypisierung und Charakterisierung von leukämischen Stammzellen. 2015 wurde sie für ihre Forschungen zusammen mit Dr. Harald Herrmann mit dem renommierten Wilhelm-Türk-Preis ausgezeichnet. Als BMX-Bikerin kürte sie sich 2019 zur allerersten Weltmeisterin in der Disziplin „Flatland“. Spitzname: Prima Infos: www.instagram.com/prima44/

Meinen Podcast mit Irina Sadovnik findet man übrigens im Grätzlcast meines früheren Dienstgebers Kleinen Zeitung

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