Das nachfolgende Interview wurde für die im vergangenen Oktober erschienene Ausgabe von Schau-Magazin geführt. In vielem lag die eloquente Alexandra Meissnitzer richtig. Manches kam – Corona bedingt – anders, als man dachte. Einiges kam gar nicht …
Am 17. Oktober startet der Skiweltcup 2020/21! Und das, wie gewohnt, in Sölden. Trotzdem wird im anstehenden WM-Winter vieles anders. ORF-Expertin und Ex-Skistar Alexandra Meissnitzer sagt im SCHAU-Interview worauf man sich trotz Corona freuen darf, mit wem zu rechnen ist und wie sie ihre privates Skivergnügen finden wird.
Interview: Fritz Hutter
Der Weltcup-Auftakt in Sölden wurde um eine Woche vorverlegt, um dem skitouristisch intensiven Wochenende vor dem Nationalfeiertag am 26. Oktober auszuweichen. Wie bereit werden die Läuferinnen und Läufer in einem Jahr wie diesem sein?
Zeitlich macht die Verschiebung für die Aktiven sicher keinen Unterschied. Aber grundsätzlich fühlt sich sölden immer „zu früh“ an, weil man sozusagen ja noch mitten in der Vorbereitung steckt. Ich finde das Rennen extrem interessant, weil du auf diesem selektiven Hang siehst, wer in den Sommermonaten welchen Schritt gemacht hat, welche neuen Gesichter auftauchen. Man hört zwar oft, dass es nicht so schlimm ist, wenn es in Sölden noch nicht so klappt, weil bis zum „echten“ Weltcup-Winter ja eh noch Zeit ist. Aber es gibt einem extrem viel Sicherheit, wenn man dort gleich vorne dabei ist – darum ist Sölden immer mit großer Aufregung verbunden.
Was hören Sie aus dem ÖSV-Lager über die Vorbereitung?
Sie haben extrem viele Corona-Tests gemacht, somit waren die Reisen zu Trainingslagern mit einem ganz anderen Aufwand verbunden, das Pensum musste aber trotzdem nicht zurückgeschraubt werden. Flachgefallen sind natürlich die Überseetrainings. Aber darin sehe ich keine Dramatik – wir sind früher im Sommer auch schon öfter in Europa geblieben, weil etwa in Neuseeland, Chile oder Argentinien zu wenig Schnee war. Klar ist aber, dass es sich heuer auf den europäischen Gletschern wie in Zermatt extrem abspielt. Aber die Teams werden sich dort gut koordinieren.
Der Auftakt mit Sölden und den wenig später folgenden Parallelbewerben in Lech/Zürs wären ein Traum für das begeisterte Skipublikum im Land. Jetzt finden diese Rennen, genau wie die Klassiker in Semmering, Kitzbühel oder Schladming, ohne Zuschauer statt. Wie wird das?
Ich sehe das differenziert. Natürlich ist das Publikum bei einem Nachtslalom wie Schladming ein wichtiger Aspekt. Aber bei sehr vielen Speed-Rennen steht entlang der Strecke kaum jemand. Man wird also Rennen sehen, die von außen betrachtet ausschauen, wie immer, und solche, die ganz anders rüberkommen. Aber mir ist wichtig, dass die Rennen überhaupt stattfinden.
Das Fernsehen spielt für Skifans also heuer logischerweise eine noch wichtigere Rolle.
Absolut. Speziell die Liveübertragungen haben derzeit einen noch höheren Stellenwert als sonst. Das merkt man bei der Formel-1 oder beim Fußball. Ich find es großartig, dass die Veranstalter sagen, ja, wir wollen Skirennen auch ohne Publikum vorort austragen. Absagen wären für die Läuferinnen und Läufer wie für die Verbände fatal, weil man ja sehr stark von den Werbeeinnahmen lebt. Und in Zeiten wie diesen tragen die Aktiven zusätzliche Verantwortung, positive Emotionen auch via TV zu transportieren. Ich glaube, es wird heuer niemand ein Problem haben, die Höchstleistung zu zeigen, weil gesehen wird es ja.
Cortina 2021 wird voraussichtlich die erste Weltmeisterschaft ohne Publikum im Zielstadion. Bitter gerade für einen Traditionsort und die starke Italo-Mannschaft, oder?
Ja, gerade Cortina ist wirklich mit sehr großer Tradition verbunden. Aber ich traue es den Veranstaltern zu, trotzdem wunderschöne Rennen zu machen. Ich glaube, dass es ganz stark an der Gestaltung liegt. Und die Wertigkeit der Medaillen wird dieselbe sein. Natürlich ist Sport auch Show – und diese Show muss jetzt ganz einfach übers Fernsehen rüber gebracht werden. Wie das geht, sieht man eben bei der Formel-1. Übrigens finde ich es schon großartig, dass dort mit Spielberg zuerst ein österreichischer Ort gezeigt hat, wie es geht. Aber auch, dass man trotz Corona den Mut hatte, die Salzburger Festspiele zu veranstalten, fand ich stark. Österreich macht da meiner Meinung nach generell einen sehr guten Job. Darum freue ich mich auch, dass es im Skisport neuerlich Österreich ist, das die ersten Rennen austrägt. Daran wird man sich orientieren.
Auch Ihre Beiträge als ORF-Expertin und Ihre Fahrten mit der Kamera werden wohl wieder gefragt sein. Bereiten Sie sich speziell darauf vor?
Natürlich. Ich betreibe zwar grundsätzlich viel Sport, aber ab September steht immer vermehrtes Krafttraining auf dem Plan. Die Fahrten über die meist sehr eisigen Rennpisten und das gleichzeitige Reden sind nicht zu unterschätzen. Und selbstverständlich will ich einen guten Job machen. Das ist mein Anspruch. Dazu gehört, dass ich körperlich fit bin, aber auch, dass ich alle meine Infos beisammen habe.
Auffällig ist, dass zwar die Rennen in den USA und Kanada gestrichen wurden, das Olympiarevier von 2022, Yanqing in China, bislang drinnen geblieben sind.
Ich glaube ehrlich gesagt, dass man sich sich das noch ein bisserl offen lässt, weil es zeitlich doch noch weiter weg ist. Ich denke aber, dass im kommenden Winter die ganz großen Reisen nicht gemacht werden, lasse mich aber sehr gern positiv überraschen. Wichtig ist aber, dass Rennen nicht einfach nur abgesagt, sondern ersetzt werden. Ich hoffe außerdem, dass die gestrichenen Nordamerika-Rennen in Beaver Creek, Lake Louise und Killington noch wo anders zur Austragung kommen können.
Fix scheint hingegen, dass die Läuferinnen und Läufer aus Übersee in Europa starten dürfen. Wer wird US-Superstar Mikaela Shiffrin, die den vergangenen Weltcup-Winter noch vor dem Corona-Abbruch wegen des Todes ihres Vaters beendet hat, heuer den Gesamtweltcup und um WM-Edelmetall streitig machen?
Natürlich wieder Italiens Federica Brignone als Titelverteidigerin im Gesamtweltcup, und die Slowakin Petra Vlhová speziell in den technischen Disziplinen. Dazu bin ich auf die Schweizerin Michelle Gisin gespannt, die durchaus das Potenzial hat, in mehreren Disziplinen ganz vorne mitzufahren. Außerdem finde ich es immer extrem spannend, wenn Junge dazukommen, wie im Vorjahr die Neuseeländerin Alice Robinson. Die hat damals ja mit 17 in Sölden gewonnen und zum Thema „Schräglage“ ein ordentliches Schauferl nachgelegt. Vor allem bin ich aber auf unsere Österreicherinnen neugierig.
In Abfahrt und Super-G ist es Dank Nici Schmidhofer, Stephanie Venier oder Nina Ortlieb sehr solide gelaufen. Im Slalom rückt die Vorarlbergerin Katharina Liensberger den Topfavoritinnen Shiffrin und Vlhová immer näher. Was trauen Sie ihr zu?
Die ist erst 23 und ein Riesentalent, und ich hoffe, dass da schon bald noch diese gewisse Konstanz dazukommt. Sie konnte schon bisher immer wieder mit Spitzenplätzen aufzeigen, aber richtig interessant wird es, wenn sie eine ganze Saison so durchfahren kann. Aber ich gehe schon davon aus, dass sie sich gerade in diesem Bereich weiter steigern wird. Mitbringen tut sehr sehr viel – vor allem die Fähigkeit, mit Druck umzugehen.
Und in welcher Phase stecken die ÖSV-Herren nach dem ersten Jahr ohne Zugpferd Marcel Hirscher? In der Endabrechnung der Saison 2019/2020 haben ja eher Speedpiloten wie Matthias Mayer und Vincent Kriechmayr aufgezeigt?
Also in Abfahrt und Super-G haben wir überhaupt kein Thema. In den technischen Disziplinen hat man schon früher gesehen, dass der Marcel viel abdeckt. Trotzdem haben wir zum Beispiel mit Marco Schwarz oder Michi Matt super Slalom-Läufer, die zu Höchstleistungen fähig sind. Aber denen ist vergangene Saison manches einfach nicht so gelungen ist. Ein echtes Manko hatte der ÖSV Jahren nur im Riesenslalom, aber das hat man selbstverständlich längst erkannt und arbeitet wohl mit Hochdruck daran.
Wünschenswert wäre wohl wieder eine höhere Dichte, wie sie etwa zu Ihrer Hochzeit mit Ihnen, Renate Götschl, Michaela Dorfmeister oder eben auch Maier, Eberharter, Knauß, usw. geherrscht hat.
Wichtig ist, dass permanent mehrere Leute um den Sieg mitfahren können. So entsteht eine gewisse Dynamik. Man sieht das heute am Beispiel der Italienerinnen. Unglaublich, was da in den letzten drei Jahren für eine starke Mannschaft entstanden ist. Da gestaltet sich auch das Training ganz anders. Jede will die Nummer 1 sein, jede will Rennen gewinnen – man kann sich vorstellen, was sich da schon in der Vorbereitung abspielt. Da sollte man wieder hin, aber ich denke, auch daran wird intensiv gearbeitet. Aber die Grundvoraussetzung dafür ist, dass alle fit sind. Und speziell bei den Damen hatten wir in den letzten Jahren wirklich extremes Verletzungspech. Aber jetzt kommt zum Beispiel mit Stephanie Brunner unsere, vor ihren Kreuzbandrissen 2019, Stärkste im Riesenslalom wieder.
Zum Finale weg vom Spitzensport mit Verletzungssorgen und Leistungsdruck: Wie wird Ihr privater Skiwinter 2020/21?
Ich werde sicher wieder Skifahren gehen, und sicher in meinem Lieblingsrevier Saalbach! Und für mich ist ein Skitag auch immer mit einem Hüttenbesuch verbunden. Ein bisserl haben wir uns ja schon an die Situation gewöhnt, und wenn wir alle mit Hausverstand und Respekt unterwegs sind, werden wir auch heuer einen schönen Skiwinter haben. Ich muss mich ja nicht noch in die bereits volle Gondel pressen, lieber wart’ ich noch ein paar Minuten. Wichtig ist, dass ich überhaupt Skifahren kann.
Alexandra Meissnitzer: Als Aktive wurde die Salzburgerin aus Abtenau 1999 Weltmeisterin in Super-G und Riesenslalom sowie Gesamtweltcupsiegerin. Bei Olympia 1998 eroberte sie Silber im Riesenslalom und Bronze im Super-G. Letzteres glückte auch bei den Spielen 2006. Im März 2008 beendete sie ihre aktive Laufbahn, seit Dezember 2008 ist sie als Co-Kommentatorin und Kameraläuferin für den ORF tätig. Außerdem wirkt die heute 47-Jährige als selbstständige Moderatorin, Freiberuflerin und betreibt in der Stadt Salzburg ihr Lokal „Genussprojekt“.