Vision contra Aggression

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85 Prozent des Personals der neun Spitäler des Wiener Krankenanstaltsverbunds (KAV) gaben zuletzt bei einer Befragung an, sich schon einmal durch aggressives Verhalten von Patient*innen oder deren Angehörigen bedroht gefühlt zu haben. Befeuert wurde dieses Unbehagen wohl auch durch die Messerattacke auf einen Arzt im Juli im Favoritner Franz-Josef-Spital. Im Ordensspital der Barmherzigen Brüder in der Leopoldstadt wiederum gab dieser Vorfall den finalen Anstoß sich dem Thema „Aggression im Krankenhaus“ systematisch anzunehmen.

„Zwar sind wir auch durch die Arbeit unserer Krisenmanagerin und des intensiv geschulten Personals vor Gröberem verschont geblieben, aber das war ein echtes Warnsignal“, sagt Nikola Tanjga. Als Data-Scientist des Hauses zählt er zu den treibenden Kräften hinter jenem Prozess, den man kürzlich angestoßen hat, um das Aggressionspotenzial im 1614 gegründeten und heute 400 Betten starken Krankenhaus möglichst tief zu halten. Dafür bediente man sich der eigentlich für die Wirtschaft entwickelten Lead-User-Methode.

Mithilfe dieser zogen die Projektverantwortlichen nun das Substrat aus den mehrtägig diskutierten Idealvisionen (siehe Skizze) einer typischen Nutzergruppe aus 16 freiwilligen, teils spitalsfremden Personen. Diese bestand aus Patient*innen, Pflegerexpert*innen, einer Psychologin aus dem AKH und fünf Mitarbeiter*innen des Hauses. In Kleingruppen aufgeteilt, pitchte man am Ende des Prozesses für ein konkretes Maßnahmenpaket.

In dessen Zentrum steht die gefühlte Verkürzung der Wartezeit in den Ambulanzen. Diese beträgt im Schnitt 30 Minuten, kann sich, je nach Behandlung, aber auch auf vier Stunden auswachsen. Ein Instrument dazu ist die „virtuelle Warteschlange“. Man zieht eine Nummer, die dann bei der Anmeldung am Schalter in den jeweiligen Namen umgewandelt wird, welcher zusammen mit der wahrscheinlichen Wartezeit auf den überall am Areal verteilten Displays aufscheint. Außerdem wird mit Farbmarkierungen die Dringlichkeit der Behandlung sichtbar gemacht, um Verständnis für eine möglicherweise gestürzte Aufrufreihenfolge zu generieren.

Außerdem soll auf zusätzlichen Bildschirmen unter anderem Infotainment geboten werden. Und Ermunterungen, bereits vor der ärztlichen Untersuchung Selbstanamnäse zu betreiben, um dann etwa die Krankengeschichte vollständig parat zu haben. Onkologie-Patient*innen, die häufig mehrere Ambulanz-Stationen durchlaufen, werden zudem mit einer Art Vibrationswecker ausgestattet, um sich vor dem tatsächlichen Termin stressfreier und auch in den begrünten Innenhof oder in zu schaffende Ruhezonen bewegen zu können. Außerdem wird man künftig seine individuelle Befindlichkeit an „Happy-or-not“-Terminals kundtun können.

Eine wichtige Rolle nehmen künftig zudem „Feel-Good“-Manager*innen ein. Ein Job, den z.B. Brüder des Betreiberordens und Ehrenamtliche erledigen könnten. Letztere will man laut Nikola Tanjga aus dem Kreis einst gut betreuter Patient*innen rekrutieren: „Sie werden aktiv auf die Leute in den Wartebereichen zugehen und deren Bedürfnisse einsammeln. Im Idealfall befriedigen sie auch zumindest teilweise den vielfach Wunsch zu reden. Letzteres streckt nämlich oft die durchschnittliche Behandlungszeit von 15 auf 30 Minuten.“ Erste Ergebnisse erhofft man sich bei den Barmherzigen Brüder spätestens im kommenden Sommer.

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